15.11.-21.12.1864 - Sherman's Marsch zum Meer - Teil 1

 

Ich berichte jetzt über eines der gravierendsten Ereignisse des Bürgerkrieges, das bis heute äußerst kontrovers diskutiert wird, insbesondere in den davon betroffenen Gebieten, dem Staat Georgia. Es handelt sich um den Marsch der Unions-Armeen unter MajGen William Tecumseh Sherman von Atlanta aus südwärts bis nach Savannah am Atlantik, militärisch als "Savannah-Feld­zug" bezeichnet, im Volksmund dagegen " Sherman's Marsch zum Meer" (engl. Sherman's March to the Sea).

MajGen William T. Sherman, USA, Oberkommandierender im Westen

Im ersten Teil einer kleinen Artikelreihe versuche ich darzulegen, wie es zu diesem Marsch gekommen ist.

 

Die Lage in Georgia

Seit September saßen die Unions-Armeen in Georgia's Hauptstadt Atlanta, die sie im Laufe des Sommers mühsam gegen die konföderierten Generäle Joseph E. Johnston und John Bell Hood errungen hatten. Johnston war abgelöst und ohne neues Kommando, Hood hatte die verbliebenen Konföderierten westlich der Stadt zurückgezogen. Dort rief er alle verfügbaren Kräfte aus den noch weiter südlich liegenden Staaten in seine Armee.

Anfang Oktober setzte sich Hood's Armee plötzlich nordwärts in Richtung Tennessee ab, hauptsächlich um Sherman zu seiner Verfolgung aus Atlanta zu locken. Nachdem Sherman anfänglich genau dies auch tat, war dieser jedoch bald von Hood's Versteckspiel entnervt. Er teilte seine Einheiten auf. Die Ohio-Armee unter MajGen John M. Schofield sollte Hood weiter verfolgen und in die Arme von zwei Corps der Cumberland-Armee unter MajGen George Thomas treiben, die in Nashville, TN auf ihn warteten (hierzu mehr in einem gesonderten Beitrag). Mit den anderen beiden Corps der Cumberland-Armee sowie der gesamten großen Tennessee-Armee kehrte er jedoch nach Atlanta zurück und wartete.

 

Die Lage in Virginia

In der Zwischenzeit war der militärische Fortschritt der Union weiter im Osten bei Richmond zum völligen Stillstand gekommen. LtGen Ulysses S. Grant hatte zwar Richmond und Petersburg fest im Belagerungs-Griff, aber die Konföderierten konnten ihre Städte weiter verteidigen und vereitelten auch fast jeden von Grant's Ablenkungs- oder Durchbruchs-Versuchen. Dieser Stillstand in Virginia, zusammen mit der immer näher rückende Präsidentschaftswahl von Lincoln gegen McClellan, bereitete Grant zunehmend ernste Sorgen.

Grant wollte die beiden entscheidenden konföderierten Städte nun mit Gewalt einnehmen. Dazu brauchte er aber deutlich mehr Einheiten als die untrainierten Neuankömmlinge aus dem Norden. Also suchte Grant nach anderen Einheiten oder ganzen Armeen, die er nach Virginia holen konnte.

Sherman in Georgia erschien Grant hierfür geeignet. Dieser hatte sein strategisches Ziel Atlanta bereits erreicht und verfügte über mehr als genug Männer für die verbliebene Aufgabe, Hood zu vernichten. Beide Generäle waren gute Freunde, und so formulierte Grant seine Aufforderung an Sherman, nach Virginia zu kommen, nicht als strikten Marschbefehl sondern als Aufforderung. Die genaue Ausgestaltung dieser Truppenverlegung überließ er seinem Freund.

 

Sherman's Plan

Sherman schlug vor, nicht den direkten Weg mit der Eisenbahn von Atlanta nach Virginia zu nehmen, sondern zum Atlantik zu marschieren und sich dort von der Unions-Marine auf dem Wasserweg verschiffen zu lassen. Dieser Weg war zwar langwieriger, aber Sherman wollte hierbei in Georgia ein deutliches Zeichen für die gesamte Konföderation setzen. Trotz Bedenken stimmte Grant zu.

MajGen Sherman war ein General mit strategischem Weitblick. Er erkannte, dass Grant in Virginia solange nicht zum Erfolg kommen konnte, wie der Gegner noch über zwei ganz wesentliche Dinge verfügte: Lebensmittelnachschub und Moral. Und gegen diese beiden Dinge wollte er etwas Entscheidendes unternehmen - gleichzeitig. Sein Ziel war es, der Konföderation ultimativ vor Augen zu führen, dass sie zwangsläufig verlieren musste, weil die Union in jeder Hinsicht klar überlegen war. Hierzu entwickelte er eine Vorgehensweise, die man in dieser Form erst im Zweiten Weltkrieg wieder anwendete, bekannt unter dem Begriff "Totaler Krieg".

Der Plan war, von Atlanta aus in mehreren parallelen Linien 500 Kilometer weit durch das fruchtbare Süd-Georgia zu marschieren, um sich in der Hafenstadt Savannah wieder zu vereinigen. Savannah selbst war noch in konföderierter Hand, auch wenn der Hafen durch die Unions-Blockade nahezu nutzlos war. Jede der Linien sollte rechts und links ihres Weges alles vernichten, was den Konföderierten noch nützlich sein konnte. Nennenswerte Industrie gab es dort nicht, sie befand sich nur in Atlanta und sollte bei Abmarsch ebenfalls zerstört werden.

Gleichzeitig war Sherman klar, dass sich seine Truppen selbst von dem versorgen mussten, was sie auf ihrem Weg durch Georgia fanden und für sich beschlagnahmten. Denn die ohnehin schon sehr langen und von den Konföderierten immer wieder unterbrochenen Versorgungslinien aus dem Norden über Tennessee konnten nicht nochmals ausgedehnt werden. Es war das erste Mal für die Union, dass sich eine Truppe in dieser Größe selbst von der Nachschublinie abschnitt (General Lee hatte dies für die Konföderation auf dem Gettysburg-Feldzug bereits vorgemacht). Dies waren auch gleichzeitig die größtem Bedenken von Grant und auch von Präsident Lincoln für dieses Vorhaben.

Starke militärische Gegenwehr erwartete Sherman nicht. Den Großteil der konföderierten Einheiten hatte Hood abgezogen. In Süd-Georgia befand sich etwas Kavallerie sowie einige kleine Truppen, die rasch von South Carolina herüber kommen konnten. Lediglich Savannah war gut befestigt. Aber Sherman sah voraus, dass die Stadt unter der Übermacht von zwei Unions-Armeen nicht lange standhalten konnte.

Am 9. November gab Sherman den Feld-Befehl Nr. 120 heraus, den ich hier übersetzt wiedergebe:

Hauptquartier, Military Division of the Mississippi

Im Felde, Kingston, Georgia, 9. November 1864

I. Zum Zwecke militärischer Operationen wird diese Armee in zwei Flügel aufgeteilt. Der rechte Flügel unter dem Kommando von Major General O. O. Howard besteht aus dem fünfzehnten und siebzehnten Corps. Der linke Flügel unter Major General H. W. Slocum umfasst das vierzehnte und zwanzigste Corps.

II. Die durchzuführende Marschordnung wird, soweit durchführbar, über vier Straßen erfolgen, so parallel wie möglich, die sich hiermach an noch zu bestimmenden Punkten wieder vereinigen. Die Kavallerie unter dem Befehl von Brigadier General Kilpatrick, wird gesonderte Befehle vom kommandierenden General erhalten.

III. Es wird keinen allgemeinen Versorgungszug geben, aber jedes Corps wird seinen eigenen Munitions- und Versorgungs-Wagenzug haben, die sich wie folgt bewegen werden: Hinter jedem Regiment soll ein Wagen und eine Ambulanz folgen. Hinter jeder Brigade soll ein geeigeter Anteil der Munitionswagen, Provisionswagen und Ambulanzen folgen. Im Falle von Gefahr soll jeder Corps-Kommandeur diese Marschordnung anpassen, indem er seine Vor- und Nachhut von den Wagenzügen entkoppelt. Die einzelnen Marschkolonnen werden um 7 Uhr abmarschieren und etwa 15 Meilen pro Tag zurücklegen, sofern keine anderslautenden Befehle ergehen.

IV. Die Armee wird ihre Vorräte auf dem Marsch nach Bedarf vom Umland beziehen. Hierfür wird jeder Brigadekommandeur einen guten und effizienten Bevorratungs-Trupp zusammenstellen, unter dem Kommando eines oder mehrerer vertrauenswürdiger Offiziere, die entlang der Marschroute Getreide oder Vorräte aller Art einsammeln werden, alle Arten von Fleisch, Früchte, Mehl, oder was immer von seinem Kommando benötigt wird, stets mit dem Ziel, in den Packwagen mindestens 10 Tagesrationen für das Kommando sowie 3 Tagesmengen anderer Vorräte zu haben. Soldaten dürfen kein Privateigentum der Einwohner betreten oder Duchgang erzwingen außer in Marschpausen oder Nachtlagern, wo sie die Genehmigung erhalten können, Feldfrüchte, Äpfel oder andere Früchte zu sammeln oder Vieh in ihr Lager zu treiben. Die regulären Bevorratungstrupps müssen angewiesen werden, Provisionen und Vorräte in jedem Abstand von der Marschroute zu beschlagnahmen.

V. Nur Corps-Kommandeure haben die Befugnis, die Zerstörung von Mühlen, Häusern, Baumwolllagern usw. anzuordnen, und folgende Grundsätze werden hierfür erlassen: In Distrikten und Gegenden, in denen die Armee unbehelligt bleibt, sind solche Zerstörungen zu unterlassen. Sollten aber Guerillas oder Strauchdiebe unseren Marsch attackieren, oder sollten die Einwohner Brücken niederbrennen, Straßen blockieren oder auf andere Weise örtlichen Wider­stand leisten, sollen die Armee-Kommandeure solche Zerstörungen anordnen und erzwingen, mehr oder weniger rücksichtslos je nach dem Grad jenes Widerstandes.

VI. Was Pferde, Maultiere, Wagen usw. aus dem Besitz der Einwohner betrifft, darf sich die Kavallerie und Artillerie frei und ohne Beschränkung bedienen, abgestuft jedoch zwischen den üblicherweise feindlichen Reichen und den zumeist eher neutralen oder freundlichen Armen oder Arbeitern. Bevorratungs-Trupps dürfen ebenfalls Maultiere oder Pferde requireren, soweit verbrauchte Tiere ihrer Wagenzüge ersetzt werden müssen oder Packtiere für Regimenter und Brigaden benötigt werden. Bei allen Bevorratungen nehmen die beteiligten Truppen Abstand von gewaltsamer oder bedrohlicher Wortwahl, sondern geben - wo es der kommandierende Offizier für angebracht hält - schriftliche Empfangsquittungen für die Waren, jedoch keine Bezahlung dafür, und sie sind aufgefordert, den Familien einen zum Überleben angemessenen Anteil zu hinterlassen.

VII. Neger, die körperlich gesund sind und den verschiedenen Marsch-Reihen nützlich sein können, dürfen mitgenommen werden. Jeder Armee-Kommandeur darf aber nicht vergessen, dass die Frage der Versorgung und Bevorratung oberste Priorität hat und dass es seine erste Aufgabe ist, sich für die unter Waffen stehenden Männer zu kümmern.

 

Soweit die Theorie für diesen Marsch. Wie er tatsächlich ablief, dazu mehr in Teil 2.