15.11.-21.12.1864 - Sherman's Marsch zum Meer - Teil 2
Im vorigen Teil habe ich ausgeführt, wie US-MajGen William Tecumseh Sherman den Plan für seinen Marsch durch Georgia zum Meer entwickelte.
Der Abmarsch
Am 15. November setzte Sherman seine Truppen in Marsch. Er kommandierte nun zwei Armeen, die Tennessee-Armee unter MajGen Oliver O. Howard, und die Cumberland-Armee, die sich nun Georgia-Armee nannte, unter MajGen Henry W. Slocum. Sherman teilte sie in vier Marschkolonnen zu je einem Corps ein. Die Kavallerie unter BrigGen Judson Kilpatrick sollte beide Flügel gegen mögliche feindliche Übergriffe sichern.
MajGen William T. Sherman, USA, Oberkommandierender im Westen / MajGen Oliver O. Howard, USA, Army of the Tennessee / Henry W. Slocum, USA, Army of Georgia (ehemals Army of the Cumberland)
Nachdem alle US-Einheiten die Stadt Atlanta nach Süden verlassen hatten, zündete die Nachhut Industrie- und Eisenbahnanlagen in der Stadt an. Das Feuer griff rasch auf die meisten Häuser über, und in wenigen Stunden war die Stadt nahezu vollständig niedergebrannt. Einwohner kamen kaum zu Schaden, denn diese hatten auf Sherman's Befehl die Stadt schon vor Wochen verlassen müssen.
Sherman schrieb hierzu später in seinen Memoiren (Übersetzung durch mich):
Wir ritten aus Atlanta hinaus, und die Straße nach Decatur war gefüllt mit marschierenden Truppen und Wagen des XIV Corps. Und als wir die Hügel erreicht hatten, gerade jenseits der alten Rebellenbefestigungen, hielten wir wie selbstverständlich an und blickten zurück auf das Gelände unserer vergangenen Kämpfe. Wir standen genau dort, wo wir die blutige Schlacht des 22. Juli geschlagen hatten, und konnten das Wäldchen sehen wo McPherson gefallen war. Hinter uns lag Atlanta, ausgebrannt und in Trümmern, und schwarzer Rauch stieg empor und hing wie eine Decke über der zerstörten Stadt. In einiger Entfernung, auf der McDonough-Straße, befand sich die Nachhut von Howard's Kolonne, die Kanonenrohre in der Sonne blinkend, die weiß bespannten Wagen in langer Reihe hinaus nach Süden fahrend. Und direkt vor uns marschierte das XIV Corps, zügig und gleichmäßig, mit euphorischem Blick und schwingendem Schritt, die jene tausend Meilen zwischen uns und Richmond als ein Kinderspiel erscheinen ließen. Eine Kapelle spielte zufällig "John Brown's soul goes marching on", und die Männer stimmten ein, und nie zuvor und danach habe ich das "Glory, glory, hallelujah" mit mehr Imbrunst und in besserer Harmonie und Takt gehört.
Die Wege durch Georgia
Hier eine Karte der Wege, die die verschiedenen Kolonnen zum Atlantik nahmen (Wikipedia):
Man erkennt, dass keine Einheit auf direktem und kürzesten Weg auf das Ziel Savannah marschierte. Immer wieder wurde die Richtung gewechselt, und manchmal kreuzten sich die Wege der einzelnen Kolonnen sogar. Dies geschah aus mehreren Gründen. Erstens wollte man die Konföderierten so lange wie möglich im Unklaren über das tatsächliche Ziel der Märsche lassen; zweitens waren alle Einheiten beständig auf der Suche nach requirierbaren Vorräten; und drittens gab es kaum genügend direkte und gut ausgebaute Straßen zwischen Atlanta und Savannah, die von Truppen dieser Größenordnung benutzt werden konnten.
Es gab durchaus konföderierte Einheiten dort in Süd-Georgia, zumeist Kavallerie aus LtGen William J. Hardee's "Department of South Carolina, Georgia and Florida". Und es kam zu vereinzelten Kämpfen, die jedoch sämtlich von Kilpatrick's Kavallerie und den starken, gut ernährten und erwartungsvollen US-Fußtruppen gewonnen wurden.
Nur ein einziges Gefecht, das mit dem Marsch selbst garnichts zu tun hatte, ging für den Süden aus. Der Kommandeur des US-Stützpunktes von Hilton Head, SC, einer Halbinsel vor Charleston, entsandte 5.500 Mann und 10 Kanonen, um die Eisenbahn zwischen Charleston und Savannah zu besetzen und zu unterbrechen. Am 30. November stieß BrigGen John P. Hatch bei Honey Hill auf 1.500 gut postierte Milizen aus Georgia unter G. W. Smith. Hatch wurde abgewehrt und zog sich mit 650 Verlusten wieder zurück, Smith hatte gegen diese Übermacht nur 50 Mann verloren.
Die Zerstörungen
Die Unionsarmeen gingen auf ihrem Marsch durch Georgia durchaus nicht so rücksichtsvoll mit der Bevölkerung um, wie es Sherman in seinem ursprünglichen Befehl verlangt hatte. So mancher Offizier ließ es zu, dass sich seine Männer am Eigentum und mitunter auch am Leben der Bürger von Georgia abreagierten, teilweise weil sie die hohe Moral seiner Männer nicht dämpfen wollten, teilweise weil sie selbst mitmachten.
Die vier Marschkolonnen hielten jeweils ein paar Kilometer Abstand zueinander, und die Zerstörungen jeder Kolonne verschmolzen zu einer bis zu 35 Kilometer breiten Schneise, in der absolut garnichts mehr übrig blieb - außer weithin sichtbare, vom Feuer schwarz verkohlte Kamine. Die Ernte auf den Feldern wurde abgebrannt. Tiere, die die Soldaten nicht selbst gebrauchen konnten, erschossen sie anstatt sie der hungernden Bevölkerung zu lassen. Scheunen und Mühlen wurden sämtlich ein Raub der Flammen. Ein Colonel schrieb in sein Tagebuch:
Ich habe ein Regiment, das ein Schwein töten, ausnehmen und abschaben kann, ohne aus dem Glied zu treten.
Unions-Soldaten zerstören eine Eisenbahn- und Telegrafen-Strecke, und Farbige versuchen, sich ihnen anzuschließen, im Hintergrund brennen Schuppen / Unions-Soldaten verbiegen erhitzte Eisenbahnschienen, um sie unbrauchbar zu machen, und nennen sie scherzhaft "Sherman's Kravatten".
So manche Frau wurde geschändet, nachdem die Soldaten ihren Wein- und Schnapsvorrat leergetrunken und jede Beherrschung verloren hatten. Und jeder, der sich ihnen in den Weg stellte - es waren ohnehin zumeist nur Frauen, alte Männer und Kinder dort -, wurde kurzerhand erschossen. Es ist kein Fall bekannt, in dem sich ein US-Soldat für diese Übertretungen von Sherman's ursprünglichen Befehl vor einem Kriegsgericht verantworten musste.
Die verschwundenen Armeen
Da Sherman alle Nachschublinien aufgegeben hatte, drangen auch kaum Nachrichten über den Verbleib und das Wohlergehen der US-Armeen aus dem ländlichen Georgia bis nach Washington oder zu Grant bei Richmond. Seit dem Abmarsch von Atlanta am 15. November waren Sherman's Einheiten aus immerhin 62.000 Mann für die Nordstaaten quasi wie vom Erdboden verschluckt.
Das war auch Sherman's Absicht, denn er wollte keine politischen Querschüsse, die seinen Plan und dessen Ausführung stören konnten. Er wusste, das sein Vorgehen heftige Kritik hervorrufen würde und befürchtete - vermutlich zu Recht -, durch Befehle aus Washington gestoppt zu werden. Wenn er sein Ziel erreicht haben würde - da war er sich auch sicher - würde es zumindest aus dem Norden keine Kritik geben.
Deshalb kam sein erstes Lebenszeichen erst kurz vor Weihnachten aus Savannah. Doch mehr dazu in Teil 3.