25.03.1865: Lee's letzter Versuch

 

Seit Juni letzten Jahres beschützten die konföderierten Soldaten die wichtigen Städte Richmond und Petersburg vor der Erstürmung durch die versammelte Unions-Armee. Die Belagerungslinie, in der sich die Armeen der Generäle Lee und Grant gegenüberstanden, war durch Grant’s Aktivitäten im letzten Herbst immer weiter verlängert worden mit dem Ziel, dass die Konföderierten irgendwann schlicht nicht mehr genug Leute haben würden, um einen Ansturm abzuwehren. Den Winter über hatte sich dort aber wenig verändert, mit einer Ausnahme: es verging viel Zeit, und diese Zeit arbeitete vor allem gegen die konföderierten Verteidiger.

 

Man muss sich das einmal vorstellen: General Lee hatte eine rund 50 Kilometer lange Linie zu schützen, die sich im Halbkreis östlich von Richmond südwärts und dann südlich um Petersburg herum erstreckte und langsam immer länger wurde. Gleichzeitig hatte er immer weniger Männer dafür zur Verfügung. Jeden Tag desertierten einige, ganz besonders in der kalten Zeit, teils aus Hunger, teils aus Verzweiflung, teils weil sie Weihnachten zuhause sein wollten. Und diese Deserteure kamen natürlich nicht wieder zurück. Viele weitere Kräfte gingen durch Erkrankungen verloren sowie als Tote durch die Scharfschützen der anderen Seite.

Die Nahrungsversorgung war immer schlechter geworden. Oft hatten Lee’s Männer pro Tag kaum mehr als zwei Hartkekse und einen Becher eines grauenhaften Gesöffs, das an Kaffee erinnern sollte. Durch die zunehmend von Unions-Kräften kontrollierten Zufuhrlinien waren kaum frische Lebensmittel mehr in die Stadt zu bringen – zumal auch die Landwirtschaft in großen Teilen der Konföderation zusammengebrochen oder zerstört war.

Die Unions-Seite der Belagerung war dagegen deutlich besser dran. Über die Winterszeit wurden die US-Armeen wieder verstärkt, nachdem viele Soldaten nach Ablauf ihrer 3-jährigen Dienstzeit nach Hause gegangen waren. Diese Verstärkungen konnten auch durch Aufbau zahlreicher Farbigen-Regimenter erreicht werden. In der Zeit ohne größere Kämpfe wurden auch die Vorräte an Waffen, Ausrüstungen und Lebensmittel aufgefüllt. Das Problem der US-Armee war aber politischer und gesellschaftlicher Natur. Denn der Druck, den Krieg nun endlich um Ende zu bringen, war gewaltig.

 

General Lee war nahe daran, Richmond und Petersburg aufzugeben und zu versuchen, sich mit dem aus North Carolina kommenden General Johnston zu vereinigen, um ein ausgewogenes Kräfteverhältnis zu erreichen, bevor Sherman seine Männer mit Grant's Armee zusammenführen konnte. Dieser Plan war aber extrem riskant und hätte den wahrscheinlichen Verlust der Hauptstadt der Konföderation zur Folge gehabt.

Auf der anderen Seite blieben Lee nur noch zwei weitere Alternativen: um Friedensverhandlungen zu bitten, oder zu kämpfen. Am 6. März beschloss Lee, dass der Kampf seine einzige verbliebene Option war. Der Divisionskommandeur MajGen John B. Gordon arbeitete ihm einen vielversprechenden Vorschlag aus:

 

MajGen John B. Gordon, CSA / MajGen John G. Parke, USA

An einer Stelle östlich von Petersburg lagen sich beide Linien besonders nahe. Die Unions-Seite hatte dort eine aus Erdwällen errichtete Befestigung gebaut, genannt Fort Stedman. Nach Gordon’s Plan wollte Lee dort mitten in der Nacht mit aller Kraft angreifen, die überraschten Unionssoldaten förmlich überrennen und  die dort aufgestellte Unions-Artillerie drehen und gegen die beachbarten Unions-Stellungen richten. Damit würde eine Bresche hin zur 15 Kilometer entfernten Hauptversorgungsstelle der Union bei City Point geschlagen, wo Grant auch sein Hauptquartier hatte.

 

Ansichten von Fort Stedman nach Ende der Belagerung von Petersburg

Lee organisierte in aller Heimlichkeit 11.500 Mann unter Gordon’s Führung, das war fast die Hälfte seiner gesamten verbliebenen Armee. Diese schlichen sich am 25. März im Schutz der Dunkelheit näher und schlugen um 4.15 Uhr früh los. Pioniere und Scharfschützen, die sich als Deserteure ausgaben, schalteten die Unions-Vorposten aus. Dann stürmten 100 Mann die Befestigung von Fort Stedman, wonach die Hauptgruppe die beiden Geschützbatterien neben dem Fort einnehmen sollten.

Die Unions-Truppen waren tatsächlich völlig unvorbereitet. Vielmehr begannen sich sich zu jener Zeit, auf den von Grant für den 29. März bereits angesetzten Hauptsturm auf Petersburg vorzubereiten. Aber der für Fort Stedman zuständige US-Offizier hörte dennoch die ungewöhnlichen Geräusche von der anderen Seite und ritt los, um die umliegenden Stellungen zu informieren.

Gordon’s Angriff war zunächst ein voller Erfolg. Fort Stedman und drei US-Batterien konnten gestürmt und zahlreiche US-Soldaten gefangen genommen werden. Dann jedoch kam überraschend heftige Gegenwehr. Unions-MajGen John G. Parke, zuständig für diesen Abschnitt, setzte die Besatzungen der zweiten, hinter Fort Stedman gelegenen Linie in Marsch. Von dieser Linie hatten die Konföderierten nichts gewusst.

Um 7.45 war Gordon’s ehrgeiziger Versuch gescheitert. Die Union hatte ihre Gegner hinter die alten Linien zurückgeschlagen. Die Konföderation hatte  zahlreiche zusätzliche Kräfte verloren und dabei aber letztlich nichts erreicht. Für Lee war nun klar, dass die gesamte Stellung um Petersburg unhaltbar geworden war.

 

Noch am gleichen Vormittag hatte der Schauplatz einen besonderen Besucher: US-Präsident Abraham Lincoln weilte zu Gesprächen in Grant’s Hauptquartier und sollte am Vormittag eine Truppenparade abnehmen. So nahm er sich die Zeit, den Ort des Geschehens selbst zu besichtigen.

Fort Stedman bei der Rückeroberung durch US-Einheiten (von unten heran­kommend, Quelle: http://www.100thpenn.com/fortstedman.htm):

Das Fort (bzw. was davon übrig ist) kann heute im erhaltenen Teil des Schauplatzes in Petersburg, VA besichtig werden. Hier eine Google-Luftaufnahme:

Deutlich erkennt man die Umrisse der Befestigungsanlage. Die Linie Konföderierten verlief links davon etwa entlang des heutigen Waldrandes.

 

In den nächsten Tagen sollten sich die Ereignisse förmlich überschlagen. Ich werde versuchen, die wichtigsten Stationen dieser letzten Phase des Bürgerkrieges so verständlich wie möglich darzustellen.

Fortsetzung folgt…